Einer der letzten Vertreter der Turrican-Reihe war die Portierung des AMIGA-Originals von Turrican II auf den PC vor mittlerweile 25 Jahren (!). Für den Vertrieb Rainbow Arts, bzw. Softgold selbst dürfte die Portierung eines 2D-Jump ’n Run Spiels für die PC-Plattform jedoch relativ uninteressant gewesen sein. Die ersten PCs waren aufgrund ihrer eher einfachen grafischen Möglichkeiten nur bedingt spiele-tauglich. Erst mit steigender CPU- und RAM-Ausstattung wurde auch der PC neben Spielekonsolen für Spieler interessant – dann aber v.a. für 3D-Spiele. Die ursprünglichen Turrican-Entwickler von Factor 5 konzentrierten sich bereits ab 1992 v.a. auf den Konsolenmarkt (MegaDrive, SNES). Sogar der AMIGA war schon „abgeschrieben“: Turrican 3 wurde nach Projektstart direkt verworfen und erst nach Fertigstellung der Megadrive-Version von TFMX-Erfinder und -Entwickler Peter Thierolf in 6 Monaten auf ECS-AMIGAs rück-portiert…
Da es also aus kaufmännischer Sicht eher uninteressant war, den Klassiker für den PC zu portieren, haben wir es wohl 3 (sehr) jungen Nachwuchs-Programmierern zu verdanken, dass Turrican II in einer optisch aufpolierten Fassung den Weg auf den PC gefunden hat. Im Jahr 1993 1992 bot das Entwicklerteam um Sebastian Mies (Jahrgang 1976), Marc Hellwig und Fabian Ihlenfeld an, das Spiel für Rainbow-Arts auf MS-DOS-Basis umzusetzen. Ihr Ziel war es, das Spiel genauso flüssig spielbar zu machen, wie auf dem AMIGA. Die selbstentwickelte „SUN“-Engine ermöglichte das auf einem PC mit 80386-Prozessor und 4MB RAM.
Die ohnehin schon gute AMIGA-Spielgrafik wurde von Jørgen Trolle Ørberg komplett 256farbig für VGA erneuert, der zu dieser Zeit schon das Leveldesign von Lollypop für Rainbow-Arts pixelte. Der Levelaufbau selbst wurde von der AMIGA-Version übernommen und so kommt das Ergebnis quasi einer AGA-Version von Turrican II gleich, auch wenn die Spielfigur nicht wirklich eine Überarbeitung gebraucht hätte. Den besten Mix aus neuer Grafik mit alter Spielfigur findet man so in Pekaros Windows-Portierung T2002.
Der grandiose Soundtrack von Chris Hülsbeck wurde 1:1 von der AMIGA-Version übernommen: Sebastian Mies, der zu der Zeit selbst musikalisch aktiv war, entwickelte dafür einen Player für Hülsbecks TFMX-Format für PC-Soundkarten seiner Zeit. Den Player gibt es als PMS-Player auch stand-alone für DOS.
Als Bonus entwickelte er zum Release 1995 noch verbesserte „Oversampling“-Musiktreiber, die durch Berechnung von Zwischenwerten ein noch „volleres Klangbild“ erzeugen konnten. Die optional verwendbaren „OMD“-Treiber benötigten dafür allerdings um einiges mehr Leistung (486DX2-80Mhz empfohlen).
Release
Als das Spiel Ende 1995 auf den Markt kam, war es wie fast zu Erwarten nicht gerade ein Kassenschlager. Diesmal war vermutlich gar nicht einmal die Raubkopierer-Szene schuld, sondern schlicht und einfach, dass die Nachfrage nach einem angestaubten 2D Jump ’n Run Spiel nicht mehr gegeben war. Auf dem PC standen 3D-Actionspiele wie Duke Nukem 3D, Dark Forces und Quake in den Startlöchern. Entsprechend „durchschnittlich“ fielen die Wertungen in der Fachpresse aus.
Schon 1 Jahr nach Veröffentlichung landete das Spiel so zum Budget-Preis als Cover-Disc auf einem Spielemagazin (PC-Games Plus 01/1997), wie es früher auch schon mit den AMIGA-Versionen von Turrican I und II praktiziert wurde. Insgesamt wurde die DOS-Version von Turrican II nur ca. 15.000 mal in Europa verkauft.
Teardown
Früher extrahierte ich mit Hilfe von Action Replay-Cartridge, Rippern und Hacking Tools auf AMIGA und C64 die Grafiken, Sprites und Musik aus den Turrican-Spielen, um sie in der eigene Grafik- und Musiksammlung zu archivieren. Für die DOS-Version von Turrican II hat Entwickler und Turrican-Fan Philip M. Wagner aka movAX13h ein Tool speziell für Turrican II entwickelt, mit dem man Ressourcen aus der DOS-EXE extrahieren und umwandeln kann: Turrican II Tools
Das Tool liegt nur im Quelltext als C#-Projekt vor. Mit der aktuellen Community Edition von Microsofts VisualStudio 2019 konnte ich direkt in der IDE das Git-Repository auschecken/klonen und das T2Tool übersetzen. Wird das Programm gestartet, werden direkt alle Ressourcen der T2.EXE angezeigt. So kann man sich die Sprites, Level-Grafiken und ganze Karten der einzelnen Welten ansehen.
Außerdem kann man direkt in die TFMX-Musik hineinhören. Das geht auch zusätzlich mit dem TFMXTool, das man ebenfalls im Repository findet.
Update 11/2020:
Entwickler movAX13h hat nun ein „offizielles“ Release auf Github bereitgestellt, das die Windows-Binaries enthält.
Beta-/Demoversionen
Neben der offiziellen Demoversion ist auch eine Beta-Version des Spiels ins Netz gelangt. Diese Version wurde im Juni 1995 fertiggestellt und beinhaltet bereits alle Levels des finalen Spiels. Mit den F1- und F2-Tasten kann man jeweils ein Level, bzw. eine Welt weiterspringen. Die Demoversion von Oktober 1995 ist kleiner und wurde technisch noch etwas überarbeitet (laut readme). Der Spieler konnte bis zum ersten Endgegner spielen.
Ich habe die EXE-Dateien der beiden Versionen mit Turrican II Tools untersucht: Erwartungsgemäß fehlen in der Demoversion die Ressourcen der nicht enthaltenen Welten, während in der Betaversion alle Inhalte vorhanden sind. Auffälligster Unterschied zur finalen Version sind hier die End-Credits.
Downloads:
- Turrican II DOS Beta-Version Stand 06/1995
- Turrican II DOS Demo-Version Stand 10/1995
Update 08/2023
Mehr Infos zum Spiel und dessen Entwicklung gibt’s im aktuellen Game-Not-Over Podcast #105
Interessanter Artikel, habe ihn eben gerade erst zufällig entdeckt, als ich nach einer Möglichkeit suchte, die Teilsets von Turrican II DOS zu rippen. Ich war schon immer von der neu gestalteten Pixelgrafik fasziniert und finde sie ansich alles andere als schlecht.
Jetzt müsste ich nur noch das git repository zum Laufen bekommen, leider bin ich da technisch nicht so bewandert. Eine einfache .exe wäre mir lieber. Oder gibt es ggf. alle tilesets als png in einem Archiv? Ich habe überlegt, wie eine Turrican II Total Conversion für Doom aussehen könnte. Würde gerne ein Proof of Concept erstellen.
Der Entwickler movAX13h hat nun die Windows-Binaries mit in sein Release gepackt. Link siehe oben.